Seitdem immer mehr Anleger in börsengehandelte Indexfonds (ETFs) investieren, wächst die Kritik an diesen passiven Produkten. Näheres hierzu in folgendem Artikel.
Zur Zeit des Lehman-Crashs spielten ETFs für den Finanzmarkt noch keine große Rolle.
Doch börsengehandelte Indexfonds erfreuen sich zunehmender Beliebtheit auch bei Privatanlegern.
ETF-Anteile können per Einmal-Kauf erworben werden oder per ETF-Sparplan.
Bei einem Sparplan wird in regelmäßigen Zeitabständen ein konstanter Betrag in den ETF investiert.
Dies bietet den Vorteil, bei niedrigen ETF-Kursen mehr Anteile erwerben zu können und bei hohen Kursen dann von der Kurssteigerung zu profitieren.
An den Finanzmärkten feiern sie gerade ihren Siegeszug.
Es handelt sich um ein revolutionäres Produkt, das es Sparern ermöglicht, mit wenig Geld kostengünstig am Finanzmarkt in ein weltweit gestreutes Portfolio zu investieren.
Gerade beim privaten Vermögensaufbau, etwa für die Altersvorsorge, entfalten ETFs ihre segensreiche Wirkung.
Milliarden an Euro oder Dollar fließen derzeit in diese kostengünstigen Anlageprodukte.
Quelle: Holger Zschäpitz, Die Jahrhundert-Anlage leidet jetzt unter ihrer eigenen Beliebtheit, in: https://www.welt.de/finanzen/article182544958/ETFs-Bundesbank-warnt-vor-Schattenseiten-der-Indexfonds.html am 24.10.2018
Der Erfolg ruft allerdings böse Erinnerungen wach und sorgt für neue Warnungen.
Können ETFs den Finanzmarkt gefährden?
Hier zunächst eine Übersicht des Artikels:
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Was für den einzelnen Anleger rational ist, kann jedoch zum Problem werden, wenn alle Welt plötzlich in die Indexfonds investiert.
Denn die Börsen leben davon, dass es Käufer und Verkäufer gibt, Akteure mit positiver und negativer Meinung.
ETFs hingegen agieren „agnostisch“:
Sie haben keine Meinung, sondern kaufen die Werte eines Index, wenn ihnen Geld zufließt, und verkaufen, wenn Anleger Geld abziehen.
Dadurch verstärken sie aktuelle Markttrends, vor allem dann, wenn es an den Börsen nach unten geht.
Was an ETFs kritisiert wird
Ein Beispiel dafür ist die Behauptung, Indexfonds würden den Finanzmarkt destabilisieren.
Denn sie würden Crashs verstärken, weil die wachsende Herde passiver Anleger zeitgleich dieselben Aktien verkauft.
Die Deutsche Bundesbank wollte es genau wissen und hat nachgerechnet:
Dabei hat sie besonders Tage mit hohem Stress an den Finanzmärkten unter die Lupe genommen, wie
- den 6. Mai 2010,
- den 24 August 2015 und
- den 5. Februar 2018.
Das Ergebnis lautet zusammengefasst:
Anleger bekommen bei Kurseinbrüchen möglicherweise relativ schlechte Kurse, wenn sie ETFs verkaufen wollen.
Was damals am Finanzmarkt passierte
Deutliche Hinweise auf Gefahren, die vom Erfolg der Produkte ausgehen könnten, sammelten Beobachter in den vergangenen Jahren immer dann, wenn es an den Börsen einmal heftig abwärts ging.
Berühmtestes Beispiel ist ein Flash-Crash an der Wall Street am 24. August 2015.
Wegen wirtschaftlicher Turbulenzen in China sackten die Kurse der US-Indizes drastisch ab.
Die ETFs auf die US-Indizes verloren zum Teil aber deutlich mehr an Wert und mussten massenweise vom Handel ausgesetzt werden.
Zudem schafften es die Produkte nicht mehr, den ihnen zugrundeliegenden Index korrekt abzubilden.
Dabei sorgt die Mechanik der Indexfonds für einen Teil der Bedenken gegen sie.
Die zugrundeliegenden Aktien müssen blitzschnell am Markt ge- und verkauft werden.
Bei Kursstürzen trocknet aber regelmäßig die Liquidität am Markt aus:
Es gibt schlicht keine Käufer mehr für die Aktien – in der Folge müssen die Titel mit deutlichen Abschlägen verkauft werden.
Dann läuft eine Preisspirale nach unten an, die durch die massenhaften Verkaufsaktionen der einstigen ETF-Investoren ausgelöst wird.
Aber auch in normalen Börsenzeiten führt das Gewicht der Indexfonds laut Experten zu Verzerrungen am Aktienmarkt.
So sehen Experten eine gefährliche Konzentration der Anlegergelder einerseits in Aktien, die in großen Indizes notieren.
ETFs reagieren anders
Für Anleger ist vor allem interessant, in welcher Beziehung ETFs anders reagieren als klassische Investmentfonds, die nicht selber an der Börse gehandelt werden, oder als direkt gekaufte Wertpapiere.
Hier fällt vor allem eines auf:
In ruhigen Marktphasen sind ETFs besonders liquide, bei hohem Stress können sie aber besonders illiquide sein.
Hier agieren zwar sogenannte autorisierte Teilnehmer als Mittler zwischen Märkten und ETF-Anbietern (sogenannte Market Maker).
Diese Marktmacher können auch ETF-Anteile oder entsprechende Wertpapierkörbe auf die eigenen Bücher nehmen und agieren in gewissem Umfang als Puffer.
Doch in turbulenten Zeiten bleibt auch den Zwischenhändlern nichts anderes übrig, als Anteile an den Anbieter zu verkaufen, der dann Anteile auflösen muss.
Wenn Panik aufkommt, sind die Anbieter von ETFs anders als bei traditionellen Fonds aber nicht verpflichtet, die Anteile sofort zum anteiligen Wert des zugrunde liegenden Portfolios zurückzunehmen.
Daher kann es vorkommen, dass der Börsenwert eines ETFs stärker sinkt als der seines eigenen Portfolios.
In Phasen ausgeprägten Marktstresses könne die Liquidität am Finanzmarkt schnell versiegen, so die Bundesbanker.
Dann würden sich auch die Spannen zwischen Kauf- und Verkaufskursen der Indexfonds stark ausweiten.
Probleme zeigten sich insbesondere bei ETFs auf weniger liquide Märkte wie Unternehmensanleihen oder Schwellenländeraktien.
In Ausverkaufsphasen könnte dann der ETF-Preis unter den Indexwert fallen, und wer dann verkaufen müsse, mache einen zusätzlichen Verlust.
Das könne den Verkaufsdruck noch erhöhen, weil jeder schnell verkaufen wolle, bevor der Wert des ETFs abstürzt.
In der Regel gleicht sich das jedoch sehr schnell wieder aus, zumal die Anbieter verpflichtet sind, bei größeren Abweichungen einzugreifen.
Aber in einer Panik verkaufen ja besonders viele Anleger – und bekommen also möglicherweise schlechtere Kurse als bei der direkten Anlage oder auch bei einem klassischen Fonds.
Mögliche Probleme auch durch Wertpapierleihe
Die Bundesbank nennt noch ein weiteres Risiko:
ETFs generieren zum Teil einen guten Anteil ihres eigenen Ertrags dadurch, dass sie Wertpapiere am Finanzmarkt verleihen.
Oft an Investoren, die sie im Rahmen von Termingeschäften vorübergehend für Leerverkäufe benötigen.
In der Regel bekommen sie dafür aber andere Papiere als Sicherheit.
In schwierigen Marktphasen kann es passieren, dass solche Geschäfte platzen, der ETF das verliehene Papier also nicht zurückbekommt, und die Sicherheit sich auf einmal als ungenügend herausstellt.
In dem Fall kann es zu Verlusten kommen, die der Anleger zu tragen hat, und bei „extremen Szenarien“ könnte ein „allgemeiner Verkaufsdruck“ entstehen, „welcher die Preisrückgänge noch beschleunigen würde“.
Die Bundesbank schreibt aber, dass solche Leihgeschäfte auch von traditionellen Fonds betrieben werden.
Das zusätzliche Risiko besteht also nur gegenüber der direkten Anlage am Finanzmarkt.
Anders gesagt:
Das Problem sind eher die Leihgeschäfte als die ETFs.
Popularität führt zu Abstumpfung auf beiden Seiten
Die Popularität der Produkte, die sich stur am Index orientieren, sorgt aber auch für eine „Abstumpfung“ auf Unternehmens- wie auf Anlegerseite.
So ein weiterer Kritikpunkt.
Einerseits müssten sich Unternehmen nicht mehr bemühen, ihre Story am Markt zu „verkaufen“ oder selbst für gute Geschäftszahlen zu sorgen, denn:
Es reicht ja, wenn man als börsennotiertes Unternehmen in einem Index enthalten ist, die Kurssteigerungen kommen dann von selbst.
Und die Investoren:
Sie schauen sich die Geschäftsmodelle und den Erfolg der Konzerne nicht mehr genau an, bevor sie investieren.
Über den Indexfonds werden die Aktien einfach „blind“ gekauft.
Wie sehen das Wissenschaftler?
Der renommierte Finanzprofessor an der Uni Mannheim, Martin Weber, hat kürzlich eine Analyse des ETF-Marktes publiziert.
Weber sieht keine „unmittelbare Gefahr für die Markteffizienz“ durch ETFs.
Allerdings rät er wegen des „vermehrten Auftreten von Flash Crashs“ zu Wachsamkeit am Finanzmarkt.
„Komplexe Verkettungen unterschiedlicher Finanzintermediäre“ könnten schneller zu einem „Vertrauenszusammenbruch“ an den Finanzmärkten führen.
Auch die Bundesbank stellte bisher keinen Einfluss auf die Preisbildung an den Märkten fest, schließt aber nicht aus, dass sich das mit wachsender Bedeutung der ETFs ändern könnte.
Außerdem heißt es:
„Insgesamt scheinen die von ETFs ausgehenden spezifischen Risiken für das gesamte Finanzsystem derzeit – auch wegen der noch vergleichsweise geringen Größe des Sektors – begrenzt.
Ein wesentlicher Grund für diesen Befund ist das erheblich größere Marktvolumen von aktiv gemanagten Fonds am Finanzmarkt.
Von den 40 Billionen Dollar, die Investmentfonds weltweit verwalten, stecken 80 Prozent in aktiven und 20 Prozent in passiven Fonds, errechnete die BIZ.
Das ETF-Universum wächst derweil ungehemmt weiter.
Knapp fünf Billionen Dollar sind weltweit in diese Produkte investiert.
Pro Monat fließen durchschnittlich rund zehn Milliarden Dollar in die Fonds, dabei allerdings auch in Renten- und Rohstoff-ETFs.
Laut der Fondsratingagentur Morningstar wird spätestens im Jahr 2024 das Volumen der passiven Fonds das der aktiv gemanagten Produkte überschreiten.
In Japan ist dieser Zeitpunkt bei Aktien-ETFs längst erreicht, in den USA steht er kurz bevor.
Groß genug für eine ausgewachsene Finanzkrise ist der Markt für Indexfonds also allemal.
Fazit: Gefahren für den Finanzmarkt eher gering
Wirkliche Risiken durch ETFs für den Finanzmarkt sind bisher nicht absehbar, jedenfalls nicht in höherem Maß als durch traditionelle Fonds.
Anleger dagegen können in Krisensituationen mit einem ETF möglicherweise etwas schlechter abschneiden als mit der direkten Anlage oder mit einem traditionellen Fonds.
Dafür ist bei einer direkten Anlage aber zumindest für Privatanleger keine so breite Risikostreuung möglich wie mit Fonds.
Und gegenüber traditionellen Fonds dürften die generell niedrigeren Kosten der ETFs die möglichen Nachteile bei Marktturbulenzen bei Weitem überwiegen.
Hinzu kommt, dass klassische Indexfonds wegen ihrer niedrigen Kosten optimale Produkte für Buy-and-hold-Investoren sind, die ja bekanntlich langfristig anlegen.
Sie ziehen sich bei fallenden Kursen nicht aus dem Markt zurück und wirken dadurch sogar stabilisierend auf den Finanzmarkt.
Quelle: Deutsche Bundesbank – Monatsbericht – Oktober 2018, https://www.bundesbank.de/de/publikationen/berichte/monatsberichte/monatsbericht—oktober-2018-764254, ab S. 83.
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Ich bin ein überzeugter aber kein dogmatischer ETF-Investor. Ich finde es immer wichtig sich auch mit möglichen Risiken zu beschäftigen bzw. sich diese wiederholt bewusst zu machen. Daher vielen Dank für diesen umfangreichen Beitrag.
Sehr gerne, Johannes!